"Sonderlich aber sind erst in den nächst verflossenen 200 Jahren, die meisten Häuser an der untern Zeill in der Stadt neben der Ennß, (welche mit den Stuben damahls nur in der Nieder gebaut, und zum Teil mit Stroh gedeckt waren) ... in jetzigen Stand erhebt worden" vermerkt V. Preuenhueber in seinen um 1630 verfassten Stadtannalen.
Demnach wurde erst zu Anfang des 15. Jh. mit dem Ausbau der ennsseitigen, ebenerdigen Gebäude begonnen. Einige haben bis heute ihr spätgotisches Antlitz bewahrt, vor allem die Häuser Stadtplatz Nr. 15, 17, 19, 21, 23, die in ihrer Geschlossenheit den Beschauer entzücken.
R. Anheißer nennt diese gotischen Bürgerbauten Steyrs in seinem Werk "Das mittelalterliche Wohnhaus in deutschstämmigen Landen" "lustige Häuser, die ihre hohen Dächer wie lange Mützen bis an die Augen gezogen haben, wo die Fassade als gemütliches Gesicht mit Runzeln und Falken hervorlugt und an längst entschwundene, so viel herzvollere Zeiten gemahnt, als unsere aufwendige laute Gegenwart".
Zwei etwas kleinere, aber nicht minder eindrucksvolle Gebäude flankieren das alte, mit dem ersten Stockwerk vorragende Handelshaus auf dem Stadtplatz. Ein hübsches gotisches Steinportal mit profiliertem Gewände und stumpfem Spitzbogen führt in das Innere des Hauses, in dem sich massive gotische Türgewände und nach dem Dehio im zweiten Stock eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Stuckrippen-Halle und Schmiedeeisengeländer befinden.
Bei der kürzlich erfolgten Restaurierung der mit Stabwerk-Fensterrahmen versehenen Fassade kam eine in der Zeit der Renaissance (1592) angebrachte Sgraffito Verzierung zum Vorschein, die neben geometrischen Motiven auch das Einhorn zeigt. Dieses orientalisch-antike Fabeltier, das die Stadt Perg in ihrem Wappen führt, ist auch in vielen Familienwappen des Mittelalters zu finden. Eine gleiche, aber etwas größere Einhorn-Darstellung zeigt das Haus Enge Nr. 11. Vor der Renovierung lugte aus dem Verputz des ehemaligen Hofkastnerhauses in Garsten ebenfalls das Einhorn hervor.
Das Einhorn soll mit dem Körper und Kopf eines Pferdes, mit den Hinterbeinen einer Antilope, mit Löwenschwanz, Ziegenbart und Horn ausgestattet gewesen sein. In Steyr wird die ornamental gestaltete Einhornfigur mit lindwurmförmigem Körper ohne Hinterbeine dargestellt.
Schon im Mittelalter wurde die Existenz dieses Tieres von den Gelehrten bezweifelt. Der Wittenberger Professor Kaspar Kirchmayr jedoch schrieb in einer zoologischen Abhandlung: "Überall in der ganzen Welt wird allgemein behauptet, dass das Einhorn untergegangen und zur Zeit der Sintflut ausgestorben und daß kein einziges Exemplar des Monoceros am Leben geblieben sei. Wir werden diese Ungerechtigkeit gutmachen und mit Gottes Hilfe ein Mittel finden, dieser allumfassenden Blasphemie ein Ende zu bereiten".
Das Einhorn, Symbol der Reinheit und Stärke, soll die Fähigkeit besessen haben, Wasser aufzuspüren. Im Arzneibuch der Äbtissin Hildegard von Bingen findet sich folgendes Rezept: "Eidotter mit pulverisierten Einhornleber ergeben eine Salbe, die mir Sicherheit allen Aussätzigen Linderung bringt". Wertvolle Eigenschaften wurden dem Horn des Tieres zugeschrieben: Reinigung des Quenwassers und Schutz vor Vergiftung und Pest. Lennertus, 1630 Professor der Medizin an der Universität Wittenberg, behauptete: "Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass diesen Hörnern große Kraft innewohnt besonders bei der Bekämpfung der Fallsucht, des bösartigen Fiebers, der Pest, Darmbeschwerden bei Kindern und anderen Krankheiten".
Es ist daher begreiflich, dass früher manche Kaufleute, die sich mit dem Fernhandel befassten und auf ihren Geschäftsreisen von allerlei Gefahren bedroht waren, an die geheimnisvollen Kräfte des Einhorns glaubten und dasselbe an der Schauseite ihrer Häuser anbringen ließen. Auch der Stadtrichter Hans Stampfkofer, der nach dem 1543 erwähnten Jörg Weigl das Haus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besaß, sandte seine Waren ins Ausland. Vor allem lieferte er Messer nach Venedig, wo er jedenfalls im Fondaco dei Tedeschi (Kaufhaus der Deutschen) bei der Rialtobrücke, in dem der Verfasser dieses Aufsatzes im vergangenen Sommer das Wappen der Stadt Steyr noch feststellen konnte, ein Verkaufsbureau ( Kammer) gemietet hatte.
In den folgenden Jahrhunderten zählten zu den Besitzern des Hauses, zu dem bis 1870 die Eisen-, Geschmeid- und Nagelhandlungsgerechtsame gehörte, die Familien Taxhamer (1613 - 1652), Schüchl (1669 1689), Schußböck (1716- 1723), Pichler (1725-1788), Zeller (17881851), Bauer (1851- 1856), Gottwald (1856 - 1883), Reitter (1883 - 1925), Marianne, Ferdinand und Louise Reitter, Elsa Graßl (ab 1925).
Dr. Josef Ofner
(V.Preuenhueber, Annales Styrenses, 1740. - Dehio, Oberösterreich, 1958. - J.Curling, Das nützliche Einhorn, 1955. - I.Krenn, Häuserchronik der Altstadt Steyr, Diss.1950. - G.Goldbacher, Dö altn Häusa, 1911. - E.Krobath, O.Ehler, Bemerkenswerte Bauten der Altstadt Steyr, 1956 u.a.)
Amtsblatt der Stadt Steyr Nr. 3/1972